Sonnenareal, Altenrhein (SG)

Wettbewerb 3. Rang Dorfkern-Entwicklung und altersgerechtes Wohnen im Sonnenareal

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3. Rang Projektwettbewerb mit Präqualifikation 2014
ARGE mit Samuel Spreiter Architekten
und Mettler Landschaftsarchitekten Berlin

Spannungsfeld Altenrhein

Das Dorf Altenrhein liegt mitten in einem einzigartigen Spannungsfeld von Natur, Technik, Abgeschiedenheit und Zentralität. Wilde Naturschutzgebiete und mächtige Industrieanlagen flankieren als Antipoden das Dorf. Scheinbar abgeschieden liegt das Dorf hinter dem Flughafen mit Anbindung an ein europaweites Flugnetz. Der Schwarzplan zeigt diesen phänomenalen Massstabsprung vom kleinteiligen dörflichen Punktraster zum grossflächig, wuchtigen Industriehallen prägnant.
Das Projekt setzt diese unverwechselbare Charakteristik mit einer integrativen Eingliederung in die Kleinteiligkeit des Dorfkerns fort, und setzt dies mit einer Punktbebauung um.

Dorfkern Altenrhein

Das ursprüngliche Fischerdorf aus dem 15. Jahrhundert sowie auch der heutige Dorfkern zeichnen sich durch eine lockere und kleinteilige Bauweise auf grüner Wiese aus. Die Gebäude stehen zu den Strassen meist losgelöst und abgewinkelt und geben dadurch tiefe Einblicke in die Siedlung frei. Offene Gärten, baumbestandene Wiesen und kleine Plätze, die durch das Zusammentreffen von Häuservorplätzen entstehen, sind kennzeichnend für die ISOS-geschützten Gebiete des Ortes. Ortsverunklärend sind alle Elemente, welche die Durchlässigkeit der Bebauung sowie die des Aussenraums behindern. Die neue Bebauungsstruktur orientiert sich mit einer modern interpretierten Durchlässigkeit am Vorbild des geschützten Ortsbilds.
Das Sonnenareal an zentraler Lage von Altenrhein und schliesst den alten Ortskern ab. Zugleich bietet das Gebiet in alle Richtungen außerordentliche Weitsicht. Gegen Süden öffnet sich der Blick zu den Hügelzügen des Appenzeller Vorlandes, gegen Osten die Vorarlberger Berge über Nord bis West erstreckt sich der Horizont des Bodensees. Zum Schulhaus hin öffnet sich die grosse Jahrmarktwiese mit Pappelalleen und mächtigen Baumgruppen, im Süden kann man die an- und abfliegenden Flugzeuge auf der Landebahn beobachten. Unsere Siedlung soll von diesem ausserordentlichen Grünraum und den vielseitigen Aussichten dank einer durchlässigen Bebauung bis in die unteren Geschosse rund herum profitieren.

Platz, Leben und Strassenbezug

Fährt man entlang der Dorfstrasse, empfängt das Wohnhaus Seestern, mit seinem hohen First und der zentralen Ausrichtung zum Strassenzug hin, den Besucher am Anfang des Dorfes. Etwas weiter folgen in der Kurve der Dorfstrasse eine Siedlung von älteren und jüngeren Wohnbauten sowie das Postgebäude. Das Restaurant Sonne markiert das Ende der Dorfstrasse und führt den Besucher kurzerhand in die offene Marktwiese hinaus. Das Projekt setzt an diesem wichtigen Übergang mit einem Platz einen räumlichen Aktzent für Leben entlang der Dorfstrasse.
Mit einer Siedlungsöffnung entsteht ein Platz und neuer Ort für Begegnung im öffentlichen Leben von Altenrhein. Eine zur Strasse hin sanft herabfallende Ebene stellt trotz Hochwassersicherheit der Platzgebäude einen fliessenden Übergang zum Strassenraum dar. Die Expansion des Raumes und die einladende Giebelfassade lassen den Passanten inne halten und locken zum Verweilen. Durch den ansteigenden Platz entstehen erhöhte Terrassen mit breiten Treppen, die als Vorzonen für einen Laden im östlichen Platzgebäude und für ein kleines Bistro im westlichen Gebäude dienen. Dies tritt an die Stelle des heutigen Restaurants Sonne. Auch das Ladengebäude erfasst mit seiner Längslage zur Strasse hin die Scharnierfunktion den neuen Platz mit dem dörflichen Ensemble bei der Kirche zu verbinden. Dies setzt den Abbruch des momentan ungünstig und orientierungslos stehenden Wohnhauses voraus.
Die Busstation liegt neu am Platz und gewährt so den Anschluss an den öffentlichen Verkehr.
Eine Baumgruppe, Bänke, Kinderspielgeräte und ein Brunnen statten den Platz auf einfache Weise aus und bieten eine hohe, alltägliche Lebensqualität. Ebenso bietet der Platz genug Raum für öffentliche Anlässe. Nicht nur die Bewohner der Siedlung, sondern auch alle Dorfbewohner, ob Jung oder Alt, sind eingeladen den Platz zu nutzen.

Freiraum und Umgebung

Analog zur baulichen Offenheit ist die Siedlung durchlässig bepflanzt. Die Häuser sitzen auf Grüninseln, die als hauszugeordnete Gartenzonen, insbesondere den Erdgeschosswohnungen dienen. Es entstehen unterschiedlich nutzbare Flächen. Vom öffentlich genutzten Eingangsbereich an der Strasse, über halboffene Siedlungsterrassen bis zu den privaten Gartenbereichen. Die Gärten werden nicht angehoben sondern liegen auf ihren natürlichen Höhenkoten. Ein massiv befestigtes Wegnetz führt die Bewohner über alle Gefälle und rampenartigen Anstiege. Die Wege sind aus hellem, grobkörnigem Asphalt, der im Bereich des Dorfplatzes durch eine Chaussierung unterbrochen wird.
Einheimische Sträucher und Auengehölze schaffen in den Gärten ein lebendiges und natürliches Bild, das die Stimmung des unmittelbar nahen Naturschutzgebiets der Uferzone vor Altenrhein in die Siedlung transportieren soll. Dabei verbinden Einzelbäume sowie Baumgruppen die unterschiedlichen Bereiche der Anlage. Zusätzlich werden die Gärten mit lockeren Sträuchern bepflanzt, um dabei trotzdem die Privatsphäre der einzelnen Bewohner zu gewähren.
Zu den Neupflanzungen gehören die Kleinbäume Blüten-Hartiegel (Cornus florida), Rostbartahorn-Hochstämmen (Acer rufinerve) und Holunder (Sambucus nigra). Zusammen mit den grosskornigen Schwarznussbäumen (Juglans nigra), schmalblättrigen Eschen (Fraxinus angustifolia) und japanischen Schnurbäumen (Sophora japonica) sorgen sie im Herbst mit ihrer gelben und roten Blattfärbung für einen spannenden Akzent. Ein weiterer wesentlicher Vorteil dieser Planzenwahl liegt in deren Robustheit und Pflegeleichtigkeit.

Die Siedlung

Unsere Bebauung soll sich in Form einer modern interpretierten Durchlässigkeit am Vorbild des geschützten Ortsbilds orientieren. 10 eng verwandte Mehrfamilienhäuser schaffen ein gleichmässiges Verhältnis von Bebauung und Freiraum. Ihre einheitliche Erscheinungsform schafft Ruhe und Zusammengehörigkeit. Die Längsform der Bauten, sowie die unterschiedlich abgeknickten Fassaden lassen kleinräumige und individuelle Gebäudebeziehungen innerhalb der Siedlung, wie auch zur Nachbarschaft hin entstehen. Die Häuser treffen wechselweise mit Quer- und Längsseite zueinander. Die sanft abgewinkelten Gebäudefluchten fördern zusätzlich den Raumfluss. Damit eröffnen sich aus jeder Wohnung heraus Weitblicke. Der außerordentlichen Weitsicht des Gebiets, zu den Hügelzügen des Appenzeller Vorlandes, zu den Vorarlberger Bergen und zum Bodensee wird so Rechnung getragen.
Durch die erwähnte Querstellung unterscheiden wir zwei verschiedene dreigeschossige Mehrfamilienhaustypen. Der stehende Ost-Westtyp bietet 8 Wohnungen. Der liegende Nord-Südtyp beherbergt 6 Wohnungen. Zwei adaptiv verkürzte Hauser flankieren die bestehenden Mehrfamilienhäuser und leiten so masstäblich in die nachbarliche Bebauung über. Die drei Platzgebäude nehmen im Erdgeschoss öffentliche Funktionen war. Sanft angehobene Terrassen schaffen ebenerdige Bereiche für die Aussenbestuhlung des Restaurants und die Früchteauslage des Quartierladens.
Im Süden der Siedlung schliesst ein kleineres Volumen die traubenartig angeordnete Gesamtkomposition der Siedlung ab. Hier könnte mit dem Zuzug von Familien ein günstiger Ort für eine Kindertagesstätte sein.

Das Haus

Das Haus reagiert auf die situativen Bedingungen von Aussicht, nachbarlicher Bebauung und Orientierung durch deren Grösse, Ausrichtung der Gebäudewinkel und der Lage der Hausöffnungen.
Die Länglichkeit des Hauses dient zur Bildung qualitativ unterschiedlicher Räume. Der Bruch der Fassade in unterschiedliche, stumpfe Winkel sorgt für konvexe und konkave Formen. Die konvexe Seite sorgt für den Raumfluss und die Öffnung der Blickbezüge, die konkave gestattet wohnliche Gebäudenischen. Das Abkippen der beiden kurzen Seiten ermöglicht es der Nordfassade ebenfalls Sonnenlicht aus Ost und West einzufangen.
Das Faltdach bricht die Grossmassstäblichkeit und vermittelt trotz modernem Ausdruck einen dörflichen Charakter. Auch hier werden mit der Dachkante die situativen Bedingungen aufgenommen. Die Dachschräge reagiert z.B. ansteigend zum Platz hin und abfallend zur Bebauung an der Bommertstrasse.
Die dunkel gebeizte Holzfassade umhüllt das in Massivbauweise konstruierte Haus und schwebt leicht über der Wiese. Dadurch wirkt das Volumen leichter und greift gleichzeitig das Thema des traditionellen Baumaterials des Dorfes auf. Die dunkle Farbe erinnert an die von Sonne gebräunten Fassaden der altehrwürdigen Bauten im Ortskern.
Helle, grosse Öffnungen brechen das Volumen und offenbaren das Gebäudeinnere. An sonnigen Tagen beleben weisse Markisen, den Segeln eines Schiffes gleich, das Gebäude.
Elektrisch schliessbare Faltläden mit ausgeschnittenen Ornamenten dienen zum Schutz der Gebäudeöffnungen vor Sonne und Schnee. Gleichzeitig lässt die historisch inspirierte Ornamentik sowohl im Innern, wie auch ausserhalb ein spannendes Schattenspiel entstehen und löst das Anbringen von Insektenschutzgittern auf diskrete Weise.
Die massive und kompakte Bauweise begründet sich durch den Schutz vor Fluglärm und kommt dem Anspruch in Minergie zu bauen entgegen.

Die Wohnungen

Über ein mit Oblicht erhelltes zentrales Treppenhaus gelangt man zu den Wohnungen.
Bei der Gestaltung der Wohnungen ist das Hauptaugenmerk auf die ideale Orientierung und weitreichende Ausblicke gelegt worden. Die 2.5 Zimmer Wohnungen verfügen über zwei Orientierungen und sind somit in der südlichen Hälfte des Ost-Westhauses situiert. Alle grösseren wie 3.5 und 4.5 Zimmer Wohnungen verfügen über drei Ausrichtungen und geniessen fast ganztags Sonne.
Der Wohnraum spannt sich diagonal zwischen Seesicht und fernen Hügelzügen auf. Die Durchwohnqualitäten der Wohnungen eröffnen Flexibilität in der Setztung von Wohnen und Essen und lassen ganztags Licht bis in die Gebäudemitte dringen.
Alle geschlossenen Zimmer sind peripher angeordnet. Im Norden sind Schlafeinheiten mit Ankleide aussenliegendem Badezimmer und Schlafzimmer auf diskrete Weise privater gehalten.
Die Aussenterrassen äussern sich als grosse Lauben mit Überdachung und seitlich schliessbaren Holzfaltläden für Sonnen-, Sicht- und Windschutz. Für eine optimale Beschattung sorgen die hellen Fallarmmarkisen. Die zulaufende Form bietet unterschiedliche Möblierungsmöglichkeiten. Über eine durchgehende Verglasung wird der Innenraum optisch vergrössert.
Die Laube im Hochparterre führt über eine breite Holztreppe in den offenen Hausgarten. Im 2. OG öffnet sich die Laube mit einem Oblicht und füllt so auch die westlichen Räume mit südlichem Licht. Diese Wohnungen geniessen die weite Sicht in alle Richtungen und erleben die Raumschrägen der Faltdächer als überhohe Räume.

Etappierung

Mit der Punktbebauung wird die Etappierung einfach gewährleistet. Zur ersten Etappe gehören die vier an den Dorfkern angrenzenden Gebäude. Die Siedlung entsteht so Schritt für Schritt aus der Kernzone heraus und schliesst sogleich die drei dorfplatzbildenden Gebäude mit ein.
Die Tiefgarage wird im Idealfall in einem Zug realisiert, kann allerdings auch mit einer provisorischen Abfahrt zuerst nur im westlichen Platzbereich erstellt werden.
Die überschaubaren Volumen bewegen sich in der Regelbauweise und ermöglichen eine unkomplizierte Realisierung.