Oberstrasse, St.Gallen
Studienauftrag 2.Rang: Arealentwicklung Oberstrasse
Projektwettbewerb: 2023-2024
Zusammenarbeit mit Kollektiv Nordost Landschaftsarchitektur
Historische Aufarbeitung: Laurenz Hungerbühler
Visualisierungen: PYXEL GmbH
Ausgangslage
Die Parzellen des Planungsperimeters des Studienauftrages befinden sich im Quartier Oberstrasse St.Gallen an zentraler, potenzialreicher Stadtlage. Die SWICA Versicherungen AG beabsichtigt, auf der heute bebauten Parzelle von rund 3‘050m2 eine hochwertige, urbane Wohn- und Geschäftsüberbauung zu realisieren. Sie will damit einen namhaften Beitrag zur positiven Entwicklung des Gebietes für hohen Wohnwert und urbanes Leben leisten. Gesucht wird ein städtebaulich freiräumlicher Entwurf, der sich optimal in die vielschichtige städtebauliche Situation einfügt. Das Konzept soll im Dialog mit dem geschützten Ortsbild „Oberstrasse“ und dem baulichen Erscheinungsbild „Vonwilstrasse“ stehen. Die Auftraggeberin setzt sich zum Ziel, einen relevanten ökologischen Beitrag zu leisten. Insbesondere ist dem Stadtklima unter den Aspekten Flächenentsiegelung und biodiversitätsfördernde Grünflächen, Dach- und Fassadenbegrünung eine hohe Bedeutung beizumessen. Die zentrale Lage ermöglicht eine autoarme Konzeption.
Aufgrund der vielschichtigen Situation schlagen die Projektverfasser eine Modellerweiterung mit dem Paradiesquartier und der St. Otmar-Kirche vor, die als städtebaulicher Orientierungspunkt den Raum bestimmt. Im Gegensatz zu vielen anderen Stadtquartieren liegt das Planungsgebiet direkt an den Gleisanlagen des Güterbahnhofs und am Brückenkopf der darüber führenden Vonwilbrücke. Das Areal zeichnet sich insbesondere durch seine Einsehbarkeit von der Nordseite des Güterbahnhofareals aus.
Baugeschichte
Die Gegend war bis ins dritte Viertel des 19. Jahrhunderts ländlich geprägt, mit den Weilern Vonwil und Lachen auf Straubenzeller- sowie Paradies auf St. Galler Boden. Nebst dem allmählichen Wachstum mit Einzelbauten in den 1870er Jahren, entstanden die ersten Arbeiterwohnsiedlungen an der Oberstrasse und in den 1880er Jahren an der Paradiesstrasse, ab Ende der 1880er Jahre das Quartier Tschudiwies, ab 1900 das prägnante Otmarsquartier mit der 1908 fertiggestellten St. Otmarskirche, und ab 1901 der Bau des Güterbahnhofs samt Vonwilbrücke.
Historische Werte
Am Anfang des Entwurfsprozesses stehen die städtebaulichen Zielsetzungen. Sie begleiten die architektonische Umsetzung des Raumprogramms während des gesamten Entwurfsprozesses. Sie leiten sich aus den örtlichen Anforderungen ab. Zusammengefasst haben wir sie in historische Werte und räumliche Einbindung strukturiert. Einige Ziele wiederholen sich mehrfach, was die Gewichtung des jeweiligen Ziels erhöht hat.
Folgende Elemente werden im ISOS besonders erwähnt und gewürdigt und verdienen in den Zielsetzungen besondere Beachtung. Die Bahngleise bilden eine markante Schneise. Die gesamte Umgebung ist auf den monumentalen Sakralbau St. Otmar bezogen. Ein 50m breites Plateau bildet die charakteristische Geltenwiler Bleiche. Schmale Vorgärten runden die homogene Arbeitersiedlung auf der Geltenwilerbleiche ab. Die Siedlung besteht aus einer einfachen Siedlung und weiter stadteinwärts angeordneten, regelmässig angeordneten drei- bis fünfgeschossigen Bauten. Diese Mehrfamilienhäuser bilden mit ihrer klar strukturierten Stellung den Auftakt zum unmittelbar dahinter steil ansteigenden Ruhbergquartier. Die beiden mächtigen, winkelförmigen Gebäudekomplexe an der Kreuzung Oberstrasse – Vonwilstrasse bilden den westlichen Stadtauftakt.
Obwohl die historische Bebauung des Planungsgebietes zu den ältesten gehört, ist sie nicht im ISOS aufgenommen. Sie ist allseits von ISOS-geschützter Bausubstanz mit Erhaltungsziel A umgeben. In der Gesamtbetrachtung der Zone 36 wirken sich die Bauten der Planungszone somit negativ auf die Bewertung aus. Ziel ist es, das Gebiet in der Logik der Nachbarbebauung zu vollenden. Die vertikale Gliederung trotz Blockrand in Einzelbauten soll durch Gebäudevorsprünge und Staffelungen ablesbar werden.
Der exponierten Lage an der prägenden Bahnschneise soll ausreichend Rechnung getragen werden. Ziel ist es, ein attraktives, markantes Gesicht zur Bahn hin zu präsentieren. Drei Schaufassaden bilden eine regelmäßige Reihe. Die Zwischenräume erzeugen eine reliefartige Weitwirkung.
Ziel ist ein räumlicher Anschluss an die Reihenhaussiedlung. Eine Querbebauung wird ausgeschlossen, da sie den räumlichen Anschluss verhindert. Der Massstabssprung von 2 auf 5 Geschosse kann nicht überwunden werden und bildet eine Zäsur. Den Gärten kommt hier eine entscheidende Vermittlerrolle zu. Die schmale Vorgartenstruktur und ein zentraler grosser Gartenraum werden in den Hof gezogen und spannen einen übergeordneten Wohnraum auf.
Gemäss ISOS soll die Kreuzung Oberstrasse – Vonwilstrasse den westlichen Auftakt zur Innenstadt bilden. Ziel ist es, diesen mit einem urbanen Ausdruck, einer baulichen Präsenz zu stärken. Der architektonische Vorschlag betont die Eckbebauung mit Auskragung und Gebäudehochpunkt.
Das geschützte Ortsbild der Aktienbausiedlung greift im Osten in den Planungsperimeter ein. Betroffen sind die Ostbaute an der Bauhofstrasse und das Hinterhofhäuschen. Das Zusammenspiel der Reihenhäuser mit dem Doppelhaus sowie die Kleinräumigkeit werden gewürdigt. Ziel ist es, trotz des Massstabssprungs eine bauliche Beziehung entlang der Bauhofstrasse zu erreichen. Um die Bebauungsdichte nach Osten zu reduzieren, verjüngen sich die Neubauten zur Nachbarschaft um bis zu 10m. Das schmucke Hinterhofhäuschen soll als vermittelndes Gebäude im neuen Hof wieder aufgebaut werden und eine malerische Kleinteiligkeit erzeugen. Die Grünaufwertung der Bauhofstraße schafft einen verbindenden Vorraum für beide Siedlungen.
Der Strassenraum der Vonwilstrasse wird im Sinne einer beidseitigen, strassenbegleitenden Bebauung und Brückenkopfbildung baulich aufgewertet. Ziel ist es, an der Vonwilstrasse ein strukturell verwandtes Vis-à-Vis auszubilden, um den Strassenraum zu stärken. Eine ebenfalls geschlossene Blockrandzeile aus drei Gebäudeteilen bildet das Pendant. Charakteristisch für die strukturelle Verwandtschaft sind die Hofdurchgang, die bewegte Trauflinie aus Risaliten, Erkern, Balkontürmen und Türmchen.
Stadtklima und Ökologie
Auf der Hitzekarte ist ersichtlich, dass das Planungsgebiet sich tagsüber stark aufheizt und in der Nacht nur schlecht abkühlt, ein typischer Wärmeinseleffekt mindert die Lebensqualität. Dies liegt nicht nur an der Tallage sondern auch am sehr hohen Versiegelungsgrad von (46%) und einer Grünfläche von nur 16%. Die nachbarliche Wagnerstrasse mit ihren Vorgärten nimmt dahingehend eine Spitzenposition von über 40% Grünfläche ein. Besonders dicht bebaut sind die Blockränder Ruckhalde und Paradiesstrasse, die nur 8% Grünflächenanteil aufweisen.
Zur Minderung der Hitzeinsel wird die Versiegelung verringert, markant mehr Bäume gepflanzt und ökologisch wertvolle Flächen geschaffen. Dabei kann der heutige Wert der 16% begrünten Flächen verdoppelt und auf 35% angehoben werden. Die 38% bebauten Flächen werden auf 44% erhöht und in die Höhe entwickelt. Die 46% versiegelten Flächen können auf 6% reduziert werden, die meisten Wege sind Chaussierte Bereiche (15%), die eine Versickerung vor Ort indirekt über Sickergalerien oder mittels Entwässerung über die Schulter in Grünflächen direkt sichern. Von den begrünten Flächen sind rund ein Drittel ökologisch wertvolle Flächen, die Vorgabe für einen Baum pro 200m2 auf die Gesamtfläche bezogen wird mit 25-35 neuen Bäumen gut erreicht. Damit kann die Siedlung einen namhaften Beitrag zur Erreichung der 25% Baumkrondeckung erreichen zur Stabilisierung des Stadtklimas an der heissen Talsohle.