Neues Zuhause

Zu Besuch bei Anina und Casper in Mérida

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Anina und Casper haben dank GSI Architekten AG die Fassade ihres mexikanischen Hauses im Zentrum von Mérida, Yucatán, neu gestaltet.

Interview: Regula Geisser, GSI Architekten AG
Fotos: GSI Architekten AG (Visualisierung), Anina Torrado Lara (Impressionen)

Casper und Anina wohnen auf rund 140 Quadratmetern in einem typischen mexikanischen Haus im Zentrum von Mérida, Yucatán. Als sie die Fassade neu malen wollten, baten sie GSI Architekten AG um Rat. Der Entwurf im Stil des mexikanischen Architekten Luis Barragán gefiel ihnen und sie machen sich kurzerhand ans Werk. «El Chante de la 41», wie das Paar ihr Zuhause liebevoll nennt, erstrahlt in neuem Glanz.

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Der Plan: Die Architekten schlagen eine kräftige Farbkombination vor - ganz im Stil des Mexikaners Luis Barragán.

Anina und Casper, wie lebt es sich in Mérida?

Casper: Mérida mit seinen 800’000 Einwohnern ist eine der sichersten Städte Mexikos. Wir spazieren Tag und Nacht unbesorgt durch die Strassen. Die Stadt sieht viel Tourismus, bietet eine enorme kulturelle Vielfalt und ist reich an traditionellem Kunsthandwerk: Hängematten aus Baumwolle, «Petates» (siehe Glossar) aus Yute und Sisal-Seile aus Henequén stammen aus Yucatán.

Anina: In Mérida ist es immer Sommer, es liegt 43 Kilometer vom Meer entfernt, rundherum gibt es viele archäologische Stätten und Cenotes. Die Gastronomie-Szene ist auf höchstem Niveau und der Vibe international. Bei Spaziergängen durch unser Quartier habe ich vom traditionellen Palapa über bunte Kolonialhäuser mit hohen Holztüren bis zu einer Quinta mit eigenem Park alles entdeckt. Dazwischen findet man auch immer mal wieder eine Perle der modernen Architektur, zum Beispiel von Ludwig Godefroy.

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Das Malen: Casper und Anina kaufen Farben, die der Visualisierung möglichst nahe kommen - und legen in den frühen Morgenstunden los.

Beschreibt uns euer Zuhause.

Casper: Unser kleines Haus liegt an der Calle 41 im Zentrum Méridas. Es war früher Teil eines grossen Hauses, das sich über den ganzen Häuserblock erstreckte. Wie die typischen Häuser im Kolonialstil ist es gegen die Strasse hin schmal, erstreckt sich aber etwa 20 Meter in die Tiefe. Die ehemalige Garage ist heute Hauseingang, Velo- und Werkraum. Von dort gelangt man in die kleine Stube, die Küche und das Schlafzimmer mit integriertem Bad. Anschliessend kommt ein grosser Patio und dahinter ein weiteres Zimmer mit Bad.

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Das Resultat: Mit wenig Aufwand wird das Haus zu einem Blickfang.
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Mit der restlichen Fassadenfarbe malen Anina und Casper die Wand zwischen Stube und Küche und eine alte Vitrine an.

Euer Lieblingsort im Haus?

Anina: Der Garten. Casper hegt und pflegt die vielen einheimischen Pflanzen und das Hochbeet mit Kräutern und Blumen. Ein alter Bitterorangen-Baum versorgt uns das ganze Jahr mit frischen Früchten. Und im Kompost gibt es immer was zu beobachten: Hier haben wir ein Refugium für kleinere und grössere Insekten, Reptilien und Säugetiere geschaffen.

Casper: Wenn ich nach Hause komme, gehe ich zuerst in den Garten. Ich mag es, die Pflanzen ganz klein zu kaufen, damit ich sie wachsen sehe. Für mich ist Gärtnern ein Experiment, eine Therapie, eine körperliche und mentale Übung. Ich muss die Pflanzen jeden Tag wässern, denn hier ist es oft über 40 Grad heiss. Irgendwann wird der Garten wie ein Dschungel überwachsen sein und uns Schatten spenden.

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Die Stube ist ganz in Naturtönen gehalten und mit lokalem Kunsthandwerk eingerichtet. Eine Hängematte darf in keinem Haushalt fehlen: Sie ist Sofa, Bett und Dekoration zugleich.

Wie kam es zur neuen Fassade?

Casper: Als Anina hier einzog, war das Haus bunt angemalt. Die Farben waren aber eher zufällig gewählt. Anina hatte die Idee, etwas mehr Systematik reinzubringen und hat GSI Architekten AG um Rat gefragt.

Anina: Die Architekten haben viele Entwürfe für die Fassade gemacht und auch eine Farbvariante im Stil von Luis Barragán vorgeschlagen. Ich kannte den mexikanischen Architekten von einem Besuch seiner Stallungen in Mexico City. Wir waren sofort von der Kombination «Rosa und Orange» begeistert und haben die Fassade am Wochenende in den frühen Morgenstunden neu gemalt.

Wie kam die neue Farbe bei den Nachbarn an?

Casper: Das Haus sieht man von Weitem! Wir hatten anfangs Angst, dass es zu extrem wirkt. Beim Malen haben dann aber mindestens fünf Passanten angehalten und uns gesagt, dass ihnen die Farbkombi sehr gut gefalle. Wir haben das Farbkonzept auch im Interieur weitergeführt.

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Auch ein bisschen Skandinavien darf sein: Anina und Casper haben Bett und Beistelltisch vom lokalen Schreiner anfertigen lassen. Den Acapulco-Stuhl haben sie bei einem Spaziergang entdeckt. Das Makramee ist selbstgemacht.

Wie würdet ihr euren Wohnstil beschreiben?

Anina: Ein bisschen Vintage, ein bisschen mexikanisch, ein bisschen skandinavisch und ein bisschen «Barrio», weil viele Sachen im Haus aus alten Möbeln gezimmert sind. Unser Motto ist: Bevor wir etwas kaufen, überlegen wir uns, ob wir etwas «upcyclen» können. Die Sisal-Leuchte in der Stube ist zum Beispiel aus einer alten Wassercontainer-Halterung.

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Die Küche ist das Herz des Hauses. Hier ist der grösste Teil DIY: Die Gestelle hat Casper entworfen und gebaut.

Was liebt ihr an eurem Zuhause besonders?

Casper: Wir haben unser «Chante» so schön renoviert und eingerichtet, dass mich die Harmonie einfach glücklich macht. Ich freue mich immer aufs Nachhause kommen. Dann gehen wir in den Garten und schauen, welche Pflanzen gewachsen sind, trinken ein Glas Wein, kochen, basteln an einem Makramee und entspannen in der Hängematte.

Anina: Für mich fühlt es sich an, als würde ich mitten in einer Metropole auf einem Bauernhof leben. Wir erwachen zu Vogelgezwitscher, beobachten Geckos an den Wänden und Kolibris im Garten.

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Auch der Patio brauchte dringend einen neuen Anstrich, denn die zufällig gewählten Farben wollten nicht mehr so recht zum Rest des Hauses passen.
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Der Patio vorher: Ein Bitterorangen-Baum spendet Schatten für die vielen einheimischen Pflanzen. Die Einrichtung bestand aus selber gebauten und wild zusammengewürfelten Möbeln.
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Nachher: Die weissen Wände und blauen Konturen kühlen optisch und wirken gegen Mücken. Anina nennt den Patio «Griechenland», Casper «Chefchaouen».

Was darf in einem Haus in Mérida nicht fehlen?

Casper: Eine Hängematte! Sie ist ein Kulturgut in Yucatán. Viele Leute schlafen noch immer in Hängematten, vor allem in den Dörfern.

Anina: Ein Ventilator und wenn möglich eine Klimaanlage, denn es ist unglaublich heiss.

Was tut ihr am liebsten, wenn ihr zu Hause seid?

Anina: Wir kochen mexikanische und internationale Gerichte und fusionieren diese auch gerne. Jede Woche backen wir einen Zopf und einen Kuchen, den wir nachmittags, wenn es am heissesten ist, verspeisen.

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Wie auf einem Bauernhof mitten in der Grossstadt: Im Hochbeet spriessen Gemüse, Kräuter und Blumen.

Bitte erzählt uns noch ein bisschen mehr über euch.

Casper: Ich bin 35 Jahre alt, Ingenieur und komme aus Mexico City. Neben meinen Projekten als Eventmanager produziere ich Beschriftungen und Werbemittel für Unternehmen und entwickle mein eigenes Label für personalisierte T-Shirts.

Anina: Ich bin 41 und arbeite als Kommunikationsberaterin für Schweizer Unternehmen. Seit drei Jahren lebe ich nomadisch – und bin jetzt umso glücklicher, einen solch schönen Ort gefunden zu haben, an dem ich mich niederlassen möchte.

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Im Zentrum von Mérida gibt es von Palapas (im Bild) über Kolonialvillen und 50er-Jahre-Einfamilienhäuser bis zu moderner Architektur alles zu entdecken.
Casper vor Fassade
Vor dem Haus weht abends ein kühler Wind und die Nachbarn verlegen ihr Wohnzimmer vor die Haustür - so auch Casper vor seinem Haus an der Calle 41.

Glossar

Petate: Geflochtene mexikanische Matte aus Palmblatt-Fasern.

Henequén: Aus der einheimischen Agave-Pflanze werden Sisal-Fasern gewonnen, die beispielsweise zu starken Seilen für die Schifffahrt verarbeitet werden. Das «grüne Gold» hat Mérida im 19. Jahrhundert reich gemacht.

Palapa: Traditionelles Haus der Maya mit einem Palmblattdach.

Quinta: Eine Quinta ist ein Landsitz, der zur Erholung diente. Durch das Wachstum von Mérida liegen diese Grundstücke oftmals mitten in der Stadt und füllen einen ganzen Häuserblock («Manzana») aus.

Chante: In Náhuatl, der Sprache der Azteken im Hochland Mexikos, bedeutet «Zuhause» auch «Chante».

Cenote: Ein Cenote ist ein Kalksteinloch, das durch den Einsturz einer Höhlendecke entstanden und mit Süsswasser gefüllt ist. Das Phänomen ist einzigartig auf der Yucatán-Halbinsel.