Landstrasse, Bütschwil (SG)
Wettbewerb 1. Rang: Neubau Bankgebäude und Mietwohnungen Raiffeisenbank Regio Unteres Toggenburg & Neckertal
zweistufiger Projektwettbewerb: 2023-2024
Visualisierungen: PYXEL GmbH
Die Raiffeisenbank Regio Unteres Toggenburg & Neckertal betreibt den Hauptsitz in Bütschwil. Das bisherige Geschäftshaus kommt räumlich und aus Sicht des Bankkonzeptes ans Limit. Mit dem Projektwettbewerb sollte am Standort in Bütschwil ein architektonisch und ortsbaulich attraktives Projekt realisiert werden.
Auszug aus dem Jurybericht: “ (…) Insgesamt überzeugt das Projekt sehr umfassend. Es zeigt eine hochwertige Lösung, die wohldurchdacht und in harmonischer Art den hohen Anforderungen des Ortsbildschutzes sowie der Bauaufgabe der Bank gerecht wird. Sie berücksichtigt den ortsbaulichen Kontext, die historische Ausprägung, die Granularität der Umgebungsbauten sowie die betrieblichen Ansprüche der Bank gleichermassen (…)“
Geschichte und historisches Wachstum
Das einstige Bauerndorf Bütschwil, am linken Rand des Thurtals, ist dank der Textilindustrie rasant grösser geworden. Es wirkt räumlich als gewachsene Einheit, geprägt durch sein einerseits unregelmässiges Bebauungsmuster und den wiederum regelmässig gereihten Häuser entlang den Strassen. Der bauliche Schwerpunkt bildet nach wie vor die katholische Kirche zusammen mit den historischen Bauten am Kirchplatz. Die Kirche dient in der räumlich ausgedehnten Ortschaft als wichtiger Orientierungspunkt.
Zentraler Ort
Der Bebauungsperimeter von Raiffeisen liegt inmitten des dreiarmigen Kernbereichs von Bütschwil. Der geplanten Überbauung der Raiffeisenbank kommt so eine wichtige ortsbauliche und gesellschaftliche Funktion zu. Das neue Gebäude-Ensemble soll zu einem zentralen Bindeglied des strassenbegleitenden geschäftlichen und dörflichen Lebens in Bütschwil werden. Der attraktive Standort im Dreieck zwischen Gasthof Sonne, der Pfarrkirche und der Wegverbindung in Richtung Eichelstock sichert der Überbauung im Gegenzug eine zentrale Adresse mit Identität.
Verdichtungen im Siedlungskörper
Das Innere des netzförmigen Siedlungskörpers hat sich in den letzten Jahren bereits verdichtet. Die lineare Strassenbebauung entlang der Landstrasse wurde bis zur Kreuzung Kirchgasse mit Neubauten fortgeführt. Dieses Gebiet liegt gemäss ISOS in einem wichtigen, ortsbildgliedernden Grünraum zwischen mehreren Dorfteilen.
Ortsbauliche Ziele
Der Vorschlag fokussiert auf die Bedeutung des Planungsgebietes, dessen Schutz und auf die Stärkung des Ortsbildes von nationaler Bedeutung (ISOS A). Das bisherige Erscheinungsbild soll erhalten werden, die lockere Bebauung fortgesetzt und die nach ISOS schützenswerte Grünfläche bis zur Landstrasse erlebbar gemacht werden.
Dem Charakter des Ortsbildes soll dank angepasster Proportionen, Gebäudehöhen und Dachformen weiter Beachtung geschenkt werden. Fassadengestaltung, Materialien und Farbgebung orientieren sich stringent am gebauten Umfeld und fügen sich so in unspektakulärer, selbstverständlicher Weise in den Ortskern ein. Das Ensemble wird zu einem zentralen Bindeglied des Strassenbegleitenden, geschäftlichen und dörflichen Lebens in Bütschwil.
Die differenziert ausgestalteten Gebäudevolumen der neuen Überbauung führen die gewachsene Struktur des alten Dorfkerns in unprätentiöser Weise weiter. Exemplarisch hierfür wird entlang der Landstrasse die lineare Bebauung weiterentwickelt, welche sich im hinteren Bereich auf verspielte Art und Weise auflöst. Dorftypische Zwischenräume definieren dabei den durchschreitbaren Freiraum.
Der bauliche Schwerpunkt von Bütschwil rund um die katholische Kirche erfährt aufgrund neuer Wegverbindungen und freibleibenden Blickachsen eine Aufwertung. Das neuralgische Grundstück trägt so massgebend zur Vernetzung der südlichen und nördlichen Dorfbereiche bei.
Ortbaulicher Ansatz
Das Projekt nimmt das ortbildprägende Element der regelmässig gereihten Häuser entlang der Landstrasse auf. Gleichwohl möchte das Projekt mit vier mittelgrossen Baukörpern grosse und kleine Freiräume Durchgrünung und dörfliche Durchlässigkeit wahren. Zwei strassenbegleitende Bauten bilden durch die Parallellage den Ankerpunkt der Bebauung. Sie rücken aber von der Landstrasse ab und bilden eine Vorzone, die Ankunftsbereiche schafft und durch Baumbestand der Strassenraumaufwertung dienen sollte.
Die grossen Räume zwischen dem strassenseitigen Gebäuden wahren Blickbezüge zum Ortskern mit der katholischen Kirche, sodass dieser wichtige Orientierungspunkt nach wie vor erhalten bleibt. Das westliche Wohnhaus orientiert sich am regemässig bebauten Wohn-und Geschäftsquartier Kirchgasse-Landhausstrasse. Es rückt aber bewusst etwas ab, um grosszügige Gartenflächen gegen Westen zu schaffen, sowie eine Zäsur an der Schnittstelle der Baugebiete zu setzen. Das zentrale Wohnhaus bildet den Rücken für den zentralen Freiraum der Häusergruppe, der zugleich als Eingangsplatz dem dörflichen und geschäftlichen Leben dienen soll.
Freiraum
Unterschiedliche Plätze werden durch ein erweitertes Wegsystem erschlossen, welches sich an den bereits bestehenden und künftig möglichen Wegverbindungen orientiert. Dank geringer Neigungen und befestigten Oberflächen wird ein barrierefreier Zugang zu allen Gebäuden ermöglicht.
Die artenreiche Blumenwiese nimmt Bezug auf die für Bütschwil typischen Gärten und damalig zahlreichen Streuobstwiesen. Eingestreute Bäume wie Apfelbäume, Vogelbeeren, und Traubenkirschen interpretieren die ursprünglichen Hochstammbäume neu. Nördlich zum Friedhofsareal hin, bildet ein Band aus blühenden Wildsträuchern einen grünen Filter und lädt Kinder zum Spielen ein und die heimische Tierwelt dazu, sich hier anzusiedeln.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Freiraum zwischen den vorderen Bauten und der Landstrasse. Die Gebäude rücken zugunsten des Freiraumes von der Strasse und den Parzellenecken ab. Der Grünraum kann so bis zur Verkehrsachse fliessen und findet im Multifunktionsstreifen seinen Abschluss. Die Überbauung bettet sich dank der Strassenraumaufwertung in das Grün ein und erhält mit den Vorgärten einen Filter zum Verkehr hin. Höhepunkt ist der multifunktionale Raiffeisenplatz mit Dorfbrunnen, Verweilmöglichkeiten, schattenspendendem Solitärbaum und den Zugängen zur Bank und dem Veranstaltungsraum.
Viele Kurzzeitpark- sowie Veloabstellplätze laden die Kunden und Besucher ein, das neue Zentrum zu erkunden. Längsparkierungen entlang von Strassenachsen sind in Kombination mit etwas breiteren Parkplätzen eine bewährte Lösung, bei welcher der Strassenverkehr ungehindert funktioniert. Gleichzeitig entsteht eine hohe Sicherheit für den Langsamverkehr, wie FussgängerInnen und RadfahrerInnen.
Bankräumlichkeiten und Ambiente
Zur zentralen Kreuzung hin orientiert, präsentiert sich die Bank prominent und leicht auffindbar. Dank der Lage in der süd-östlichen Grundstücksecke kann zudem während der Bauzeit auf ein Provisorium verzichtet werden.
Als attraktiver Arbeitgeber profitiert die Raiffeisenbank Bütschwil von den vielfältigen Möglichkeiten in den Obergeschossen. Die Umsetzung des offenen, zeitgemässen Bankkonzepts basiert auf einer einfachen Grundrissordnung mit zentralem Luft- Lichtraum und umfassender, äusserst flexibel einteilbarer Zone. Bereits heute wird so der Grundstein für einfachste Anpassungen an künftige Nutzungs-Entwicklungen gelegt. Erschliessungsflächen sind minimiert, dank der Mehrgeschossigkeit aber sehr attraktiv für informelle Begegnungen und regen so zum Austausch an. Die Anforderungen an die Akustik sind konzeptionell gelöst und können mit einfachen Mitteln weiter optimiert werden.
Schon beim Betreten der 24-H Zone kann der Kunde auf Wunsch mit Beratern in Kontakt treten. Ein zweiter Bancomat und der direkte Zugang zum Automatenraum von der Vorzone her, bieten Kunden sowie Mitarbeitern höchsten Komfort. Vielfältige Möglichkeiten für formelle und informelle Gespräche runden das Raumprogramm im Erdgeschoss ab und verdeutlichen die Willkommenskultur der Raiffeisenbank. Die Raiffeisenbank präsentiert sich mit offenen, halboffenen und geschlossenen Beratungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Grössen und vielfältiger Möblierung. Dank der Anordnung aller Beraterräume im Erdgeschoss lässt sich die Zonentrennung einfach realisieren.
Einheimische und traditionsreiche Materialien verleihen den zeitgemäss, offen gestalteten Räumlichkeiten eine atmosphärische Wärme. Geschliffener Hartbetonboden mit Kieselsteinen aus der Thur und Toggenburger Holzbaukunst bilden ein Zusammenspiel. Die Architektur stellt sich mit einer ruhigen und hellen Gestaltung in den Dienst der räumlichen Grosszügigkeit und den spezifischen Bedürfnissen der Bank.
Der Veranstaltungsraum wird bewusst im zweiten strassenbegleitenden Gebäude angeordnet und steht durch den neuen Raiffeisenplatz dennoch in enger Beziehung zum Hauptgebäude. Dank dieser Ablösung ist der Raum auch autonom nutzbar: egal ob während oder ausserhalb der Geschäftsöffnungszeiten kann er durch die Bank oder weitere Nutzergruppen belegt werden, was einen echten Mehrwert darstellt. Mit dem separaten Eingang zur Cateringküche funktioniert der Eventraum als eine eigenständige, abtrennbare räumliche Einheit.
Wohngebäude
Alle 20 Wohnungen geniessen dank dreiseitiger Ausrichtung vielfältige Blickbezüge und optimale Tageslichtausnutzung. Ähnlich den ortstypischen Stickerhäusern werden den gut proportionierten Zimmern möglichst keine fixen Nutzungen zugeteilt. Die Wohnungen erfüllen so flexibel die Wünsche einer breiten Zielgruppe (Singles, Paare, Familien, Senioren etc.). Dies fördert die Mannigfaltigkeit der Bewohner und stärkt den Zusammenhalt sowie die Resilienz der Siedlung. Der Wohnungsmix besteht aus annähernd gleich vielen 3.5 & 4.5 Zimmer-Wohnungen und wird durch eine 2.5 Zimmer-Wohnung ergänzt. Im quadratischen Wohngebäude sind die Wohnungen etwas kompakter organisiert, um die Vielfalt in der Siedlung weiter zu stärken und die Interessentengruppe zu erweitern. Jede Wohnung verfügt über mindestens eine Nasszelle mit Tageslicht.
Es wird ein besonderes Augenmerk auf die Ansprüche an die Privatsphäre gelegt. Komplett eingezogene, grosszügige Loggien erweitern den Wohnraum und gewähren eine einheitlich durchlaufende Fassadengestaltung. Die Anordnung des untersten Wohngeschosses im Hochparterre ermöglicht nebst hoher Privatsphäre und allgemein nutzbarem Freiraum, zudem eine attraktive Tageslichtnutzung in den Untergeschossen.
Architektur und Fassade
Auszug aus dem Leitfaden „Bauentwurf im ländlichen Raum“ für das Toggenburg (Autor Bernhard Güttinger, 2022): „Im unteren Teil des Thurtales besteht eine Vielzahl von Gebäuden, die sich deutlich von den typischen Toggenburger Bauernhäusern unterscheiden. Sie wurden in der Regel im 19. Jahrhundert während der Hochblüte der Stickereiindustrie erstellt. In den Gemeinden Kirchberg, Mosnang und Bütschwil sind sie auch im Landwirtschaftsgebiet häufig anzutreffen. Die Bauten umfassen in der Regel ein Sockel- und zwei Vollgeschosse, gründen vielfach auf einem annähernd quadratischen Grundriss und zeichnen sich durch ein klar strukturiertes, symmetrisch gestaltetes Fassadenbild aus. “
In Anlehnung an die Gebäudetypologie der Stickerhäuser gliedern sich die Fassaden in klassischer und regionaltypischer Weise in ein murales Sockelgeschoss, Hauptgeschosse in Holzbauweise und ein Dachgeschoss.
Leichte Unterschiede im Aufbau und der Materialisierung der Ansichten, führen die für das Dorf prägende Vielfalt weiter und reagieren damit auf die unterschiedlichen Nutzungen. So deuten die ausgeprägten Sockelgeschosse entlang der Landstrasse auf die öffentliche Nutzung der Raiffeisenbank und des Veranstaltungsraumes hin. Beim Bankgebäude wird die Öffentlichkeit zudem durch die fassadenständigen Gauben und das Mansardendach unterstrichen. Die Öffnungscharakteristik erlaubt trotz übergeordneter Einheit unterschiedlich grosse Fenster in den Wohngebäuden und im Bankgebäude. Den Ort Bütschwil prägende Fassadenelemente wie den Sockel, die Fensterbänder, Ecklisenen sowie die Gurte werden durch die nuancierte Farbgebung und die Materialität in Holz untermalt. Im Dienste einer dörflich vielfältigen Einheit nehmen sich die Gebäude in Form und Gestaltung zurück und integrieren sich so trotz ihrer hohen Identitätswirkung selbstverständlich.